Meisterschaft der Verkehrsakrobat*innen: Clara Felis berichtet

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Männer und Frauen aus ganz Europa messen sich bei der diesjährigen Europäischen Meisterschaft der Fahrradbot*innen von 20. bis 23. Juli in St. Marx. Die mehrfache Siegerin Clara Felis gibt Einblicke in den Kurieralltag.

erstmals erschienen: am 19. 07. 2017, Wiener Zeitung

Wien. 2017 ist ein besonderes europäisches Jahr: Einerseits wird in diesem Sommer die Frauenfußball- Europameisterinnenschaft in den Niederlanden ausgetragen, bei der die österreichischen Fußballerinnen erstmals in der Endrunde mitspielen. Andererseits findet im 3. Wiener Gemeindebezirk, auf der freien Fläche in St. Marx, vom 20. bis 23. Juli bereits die 22. Europäische Meisterschaft der Fahrradbot*innen statt.

Jedes Jahr organisiert eine andere Stadt die Meisterschaft der Fahrradbot*innen. Je nach Stadt gibt es auch mehr oder weniger unterschiedlich große öffentliche Unterstützung. So fand diese Veranstaltung voriges Jahr in Kopenhagen statt, die auch von der Stadt selbst gut unterstützt wurde. Dieses Jahr vernetzen sich die Fahrradbot*innen europaweit in Wien. Auch wenn der Ausbau der Fahrradwege und das Fahrradfahren in Wien mehr an Bedeutung gewinnt und auch von der Stadt unterstützt wird, so ist es in der Stadt Wien immer noch schwieriger als in Kopenhagen, die öffentliche finanzielle Förderung und genügend freien Raum zu bekommen.

Im Jahr 1996 hat das europäische Treffen der FahrradbotInnen zum ersten Mal stattgefunden. Jede Stadt, die Austragungsort dieser Veranstaltung European Cycle Messenger Championship, auf Deutsch übersetzt: Europäische Fahrradbot*innen-Meisterschaft, ist, stellt die Rahmenbedingungen dafür autonom auf. Die einzelnen TeilnehmerInnen melden sich aus jeder europäischen Stadt, die den Dienst der Fahrradbot*innen anbieten, persönlich an. Messengers For Good heißt der firmenübergreifende Verein, der die Kultur der Fahrradbot*innen fördert und auch diese Meisterschaften organisiert. Bereits im Jahr 1995 gab es die erste Fahrradkurier-Meisterschaft in Münster als Reaktion auf die euphorische Begeisterung in Berlin 1993 und London 1994, wo die ersten Fahrradkurier-Weltmeisterschaften stattfanden. Im Jahr 1996 hätte die zweite deutsche Meisterschaft der Fahrradkuriere in Hamburg stattfinden sollen. Aufgrund der zahlreichen Anmeldungen vor allem niederländischer und dänischer Kuriere entwickelte sich daraus die erste europäische Fahrradkurier-Meisterschaft.

„Der Wettkampf ist ein Mittel zum Zweck, um auch ein Fest miteinander zu machen und mehrmals im Jahr zusammenzukommen“, sagt Clara Felis. Seit sechs Jahren arbeitet die Mittdreißigerin als Fahrradbotin. Clara Felis hat bereits 2015 in Mailand und 2016 in Kopenhagen die europäische Meisterschaft gewonnen. In diesem Jahr nimmt sie in Wien nicht teil, da sie im Organisationsteam mitarbeitet und für den Parcours und das Rennen der Fahrradbot*innen verantwortlich ist.

„Beim Treffen der europäischen Meisterschaft gibt es einen abgeschlossenen Parcours mit bis zu zehn verschiedenen Checkpoints“, sagt sie. Für alle gilt der gleiche Parcours, bei dem Manifeste, also sogenannte Auftragsblätter, ausgefüllt werden. Infolge wird entweder die Zeit gemessen oder nach den unterschiedlichen Jobaufträgen, die von den Frauen und Männern zu erledigen sind, bewertet, sagt Felis. Für sie sei das Ziel der Veranstaltung vor allem sich miteinander zu vernetzen, auszutauschen und ein gemeinsames Fest zu erleben.

Deutlicher Männerüberhang

Felis hat neben ihrem Studium und während ihrer Ausbildung zur Buchhändlerin in zwei Jahren Bildungskarenz mit den Botenfahrten angefangen. Seit 2015 ist sie hauptberuflich als Fahrradbotin tätig und kann inzwischen auch gut davon leben. Vier Tage in der Woche fährt sie für den Fahrradbotendienst Hermes. An den anderen ein bis zwei Tagen in der Woche arbeitet sie in einer Buchhandlung im 2. Bezirk. „Das ist eine schöne berufliche Mischung, einerseits draußen auf der Straße sich mit dem Fahrrad körperlich bewegen, andererseits geistig beim Austauschen von Kultur- und Literatur auch innerlich in Bewegung zu sein“, sagt die Fahrradbotin.

Die Idee, als Fahrradbotin hauptberuflich zu arbeiten, hatte sie aus ihrem persönlichen befreundeten Umfeld aufgenommen und verwirklicht. „Das ist so cool, draußen zu arbeiten. Ich erlebe dabei ein echtes Gefühl der Freiheit bei der Arbeit“, sagt sie. Dennoch gibt sie zu, dass es durchaus auch anstrengend sei. Aber sie möge diese Anstrengung, und letztlich sei jeder beruflicher Job in gewisser Weise anstrengend.

Wenn sie ein schönes Gefühl für den Straßenverkehr habe und dabei gut mitfließen kann, dann öffnen sich auch ihre Sinne, und das erlebe sie in ihren bisher sechs Jahren als bestes Ereignis als Fahrradbotin. Bei Hermes-Radboten, ein Fahrradboten-Unternehmen, das seit 25 Jahren als Kollektiv geführt wird, wo sie als freie Dienstnehmerin arbeitet, sei es großartig, was das vorhandene Geschlechterverhältnis betrifft: Dort gibt es eine 50 Prozent Männerquote, das auch einen wesentlich höheren Frauenanteil ermöglicht, verglichen mit anderen Fahrradboten-Unternehmen. Dennoch seien leider bei den Veranstaltungen laut dem Stand der Anmeldungen etwa 80 zu 20 Prozent Männerüberhang.

Inzwischen gibt es in Wien schon mehr als zehn Unternehmen, die mit Fahrradbot*innen ihre Dienste anbieten. Hermes bezahlt die Fahrradbot*innen als freie Dienstnehmer*innen auf Stundenbasis. Dazu sagt Felis, sie fahre auch lieber in einem Team auf Basis eines Stundenlohns, mit dem sie gut leben kann, als dort, wo die Aufträge ungleich aufgeteilt werden und nur ein bis zwei einzelne Boten sehr gut mit ihren Aufträgen verdienen. Im Team fahren bedeutet, wenn ein Fahrer einen Fahrtendienst beispielsweise vom siebzehnten in den 3. Bezirk und eine andere vom 15. in den 3. Bezirk unternimmt. Die beiden Bot*innen treffen sich dann mit ihrem Fahrrad in der Mitte ihrer Fahrstrecke und nur eine der beiden fährt in den dritten Bezirk.

Eine Frage der Tagesverfassung

Als Fahrradbotin nimmt Felis sehr unterschiedliche Reaktionen der Menschen wahr. Oft werde sie beim Betreten der Büroräumlichkeiten mit einem herzlichen Willkommen begrüßt, manchmal aber nicht einmal wahrgenommen, sagt Felis. Das ärgert sie schon, wie manche Menschen reagieren, egal ob sie mit dem Auto fahren, zu Fuß gehen oder einfach nicht grüßen. Allerdings solche Situationen erlebt Felis auch als besonders spannend. Sie nehme dadurch das Mosaik der Stadt in Bezug auf die vielen verschiedenen Weltbilder, die gleichzeitig im Einklang aneinander vorbeileben, anders wahr. Jedoch wirklich dramatische Erfahrungen als Fahrradbotin hat Felis bisher zum Glück noch nicht erleben müssen, bis auf vereinzelte brenzlige Situationen im Straßenverkehr. Die meisten Kunden sind Stammkunden und freuen sich, wenn die Boten kommen. Die Stammkunden wissen auch, dass die Fahrradboten verlässlich sind. Sie sind auch beeindruckt, dass die Fahrradbotin die ganze Strecke mit dem Fahrrad fährt. „Sie schätzen uns als Fahrradbot*innen wert, was wir tun, und freuen sich auch, wenn sie hören, dass Hermes eine Männerquote von 50 Prozent haben“, sagt Felis. Sie fährt, wie alle Fahrradboten bei Hermes, mit ihrem Fahrrad hauptsächlich im Raum Wien, quer durch alle 23 Bezirke. „Wichtig ist, sehr flexibel zu sein, um rasch bei neuen Aufträgen die Route umzudenken“, sagt sie. Auch von der Tagesverfassung ist es abhängig, ob die Fahrradbotin neue Rekorde erreicht. Es kommt schon vor, diese zeitlich und leistungsmäßig gerne zu stoppen, vor allem wenn manche Strecken sie besonders herausfordert. Jedoch oft ist es so, wenn sie sich besonders stresst, dann braucht sie für diese Strecke genauso lange, wie wenn sie in Ruhe die Fahrt zurücklegt, sagt Felis: „Also Stress hilft eigentlich gar nicht, um schneller zu sein.“ Felis hat auch jahrelang Fußball gespielt, vor allem als Liga-Spielerin bei FC Mariahilf, was sie auch als persönlichen und sportlichen Ausgleich zu ihrem beruflichen Alltag mit dem Fahrrad sieht. Allerdings in diesem Jahr hätte sie zu viel Stress, sodass sie derzeit beim Fußball nur als sogenannter Joker, als Auswechselspielerin, eingesetzt werde, sagt sie. Felis hat schließlich auch ihre Bücher im Literaturcafe nicht nur als zweites berufliches Standbein, sondern auch als körperlichen Ausgleich, und in der Poetry-Slam-Szene ist sie aka „Orca“ auch dabei. „Wichtig ist, sich nicht stressen zu lassen und einen klaren Kopf zu bewahren“, sagt Felis. Ob auf der Bühne, am Spielfeld, oder eben auf dem Fahrrad.

Bildquelle: Dan Gold/unsplash

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